Cannes `97

CANNES '97

von Ivo Scheloske

Das Cannes Filmfestival feierte 50jähriges Jubiläum - definitiv ein Grund, die Feierlichkeiten vor Ort zu erleben. Sonne, gutes Essen, viele schöne Frauen und noch mehr VIPs - so oder so ähnlich stellt sich jeder Cannes zur Zeit der Filmfestspiele vor. Von wegen. Dieses Jahr gab's graue Wolken und Regen satt, das Essen war meistens überteuert (wer beispielsweise bei "Planet Hollywood" satt werden wollte, mußte schon mal 70,- DM einrechnen) und die VIPs schaute man sich aufgrund der Menschenmassen auch besser im hiesigen Fernsehen an. Einzig und allein schöne Frauen bekam man genug zu sehen. Und wenn ich einem Freund glauben schenken darf, waren einige unter den extrem kurzen Röcken auch noch sehr luftig angezogen.

Doch eigentlich ist man ja zum Filmegucken gekommen. Was die wenigsten Leute wissen, ist, daß zur selben Zeit, in der das Festival zelebriert wird, auch noch der MIF (Marche International du Film) stattfindet, auf dem Produktionsfirmen aus aller Welt ihre neuesten Filme präsentieren, um mit dem Verkauf der einzelnen Rechte den großen Reibach zu machen. Ähnlich wie auf der MIFED oder dem AFM werden auch hier Screenings für die zahlreichen Einkäufer abgehalten. Da auf dem MIF deutlich mehr Filme gezeigt wurden, als auf dem parallel laufenden Filmfestival, konzentrierte ich mich als passionierter Vielgucker natürlich auf diese Veranstaltung. Im Unterschied zur Mailänder Messe MIFED beschränkt sich der MIF nicht auf ein abgesperrtes Areal (Messegelände), sondern zieht sich, angefangen vom Palais du Festival, durch halb Cannes. Das bedeutet größere Wegstrecken beim Wechsel von einem Kino ins nächste (tödlich bei strömendem Regen!), die es gut einzukalkulieren gilt, will man nicht zu spät zum nächsten Film kommen. Erschwert wurde die persönliche Terminplanung noch durch den Umstand, daß die Organisatoren es nicht geschafft hatten, einen kompletten Screening-Timetable für die gesamte Laufzeit zu erstellen. So wurden morgens Handzettel mit dem täglichen Programm ausgegeben. Ein Abwägen, ob man einem Film den Vorzug gibt, um einen anderen zwei Tage später anzuschauen war somit nicht möglich. Eine Menge verpaßter guter Gelegenheiten war die Folge.

Das stimmt umso ärgerlicher, als daß es in Cannes wenig ratsam ist, sich als Journalist zu akkreditieren, denn als solcher hat man zu etwa 90 Prozent der Vorführungen keinen Zutritt (auch ein gravierender Unterschied zur MIFED). Lediglich als Filmkäufer genießt man das Privileg, in die meisten Vorstellungen eingelassen zu werden. Als solcher wird man freilich nur anerkannt, wenn man auf Verlangen einen Buyer Badge vorweisen kann, der immerhin stolze 380,- DM kostet. Ich leistete mir diesen Luxus und spekulierte darauf, auf diese Weise ein paar Knaller zu Gesicht zu bekommen, die mir als schnödem Pressevertreter sonst vorenthalten geblieben wären. Aber leider sind die Zeiten, als TOTAL RECALL oder ROBOCOP in Cannes als Premieren liefen, vorbei.

Trotzdem: Lasse ich die Filme Revue passieren, die ich mir ansehen konnte, ärgere ich mich nicht über die doch recht hohen Kosten. Immerhin waren einige Perlen darunter, die mit großer Wahrscheinlichkeit nie den Weg in deutsche Kinos, bzw. Videotheken finden werden. Zu diesen zählt beispielsweise Greg Arakis NOWHERE. Araki drehte bis vor kurzem reine Schwulen-Filme, erst mit dem krassen THE DOOM GENERATION legte er seinen (Zitat) "first heterosexual film" vor. Doch wie auch schon in DOOM GENERATION wird auch in NOWHERE (unter anderem) die Beziehung von zwei männlichen Jugendlichen behandelt. Doch keine Sorge: Problemkino bekommt man von Araki nicht serviert. NOWHERE ist quietschbunt, total abgefahren und am Ende (wie schon in DOOM) richtig blutig. Die Story ist kaum nacherzählbar, beschreibt der Film doch eher Zu-, bzw. Umstände, als daß er eine Geschichte erzählt. Wir lernen Dada (James Duvall) und seine Freunde kennen - Teenager, deren Welt eine extravagante Mischung aus Sex, Gewalt, Junk Food, Zynismus und übersättigten Farben ist. Einzige Ausnahme scheint Dark selber zu sein, der sich nach einer festen Beziehung sehnt. Doch seine gegenwärtige Freundin Mel lebt lieber nach dem Motto, daß Menschen für Sex geschaffen wurden und daß man so oft wie möglich Sex haben sollte, bevor man steinalt ist und einen keiner mehr anfassen will. Weshalb die Beziehung auch schon bald in die Brüche geht. Nur in Montgomery, einem früheren Klassenkameraden, findet Dark einen verständnisvollen Partner, der die selben Sehnsüchte hat wie Dark selbst. Und so sind die beiden auch die einzigen, die registrieren, daß ein echsenartiges Alien (!!!) herumläuft, das Teenager entführt...

Aufgrund dieser versuchten Schilderung der Handlung dürfte wohl jedem klar geworden sein, daß dies das wohl abgefahrenste Stück Film der letzten zwei Jahre ist (1995 gab's ja schließlich DOOM GENERATION). Und mir stellt sich nur noch die Frage, wie Araki es geschafft hat, mit Christina Applegate, Rose McGowan, Traci Lords und Shannen Doherty die vier zur Zeit größten Schlampen der Filmszene für diesen Film zu gewinnen.

Filme von Nicolas Roeg kamen in Deutschland bislang eigentlich immer ins Kino. Wie und unter welchen Umständen, darüber breiten wir mal lieber den Mantel des Schweigens (zumindest, was die lezten 10, 15 Jahre angeht). Auch sein neuestes Werk TWO DEATHS wird wohl nur in ausgewählten Lichtspielhäusern zu sehen sein (wenn überhaupt), ist er doch viel zu bedächtig erzählt, um das Gros des heutigen Publikums anzusprechen. Die Geschichte dreht sich um den Arzt Daniel Pavenic, der, wohnhaft in Rumänien, wo heftige Kämpfe zwischen Rebellen und Regierungstruppen toben, drei alte Freunde zu einem jahrlich stattfindenden üppigen Abendessen eingeladen hat. Als diese ihn über eine Frau befragen, die auf einer Vielzahl von Fotos innerhalb des Hauses zu sehen ist, erzählt er ihnen die Geschichte seiner Besessenheit: Vor Jahren lernte er auf einer Party das Mädchen Ana kennen, in das er sich unsterblich verliebte. Doch Ana wies ihn zurück. Zutiefst enttäuscht faßte er den Entschluß, Anas Leben zu zerstören. Im Verlauf der Erzählung, nur unterbrochen durch das Servieren der nächsten Gänge und durch Verwundete, die zur Behandlung gebracht werden, wird den drei Gästen einerseits bewußt, welche Bestie ihr Freund in Wirklichkeit ist, andererseits treten auch ihre eigenen Obsessionen und deren Zusammenhang mit Pavenic zutage...

TWO DEATHS ist ein Drama, hervorragend besetzt mit Michael Gambon und Sonia Braga, das wie ein schleichendes Gift wirkt. Ganz langsam und unmerklich wird der Zuschauer in das Geschehen hineingezogen, kann sich der Wirkung nicht entziehen, sprachlos ob der Abscheulichkeit der Handlung der Hauptperson. Einfach brilliant.

Für die Fans des Phantastischen Films gab es in den letzten zwei Jahren keinen Film, der so ungeduldig erwartet wurde wie die Fortsetzung des John Landis-Klassikers AN AMERICAN WEREWOLF (IN LONDON). Allein eine Fortsetzung zu drehen sei schon reine Blasphemie, so jedenfalls war der Tenor, wann immer die Sprache auf dieses Sequel kam. Lediglich die Tatsache, daß mit Anthony (MUTE WITNESS) Waller ein fähiger Regisseur mit der Realisierung beauftragt worden war, konnte die Gemüter ewas besänftigen. Und Waller hat seine Sache wahrlich gut gemacht, sieht man einmal davon ab, daß seine Fortsetzung im Grunde gar keine ist: Die Story selbst bezieht sich nämlich kaum auf das legendäre Original. Braucht sie auch gar nicht, denn sie funktioniert auch so ausgezeichnet. Drei Ami-Twens machen eine Rundreise durch Europa. In Paris angekommen, will Andy sich den großen Kick holen, indem er mitten in der Nacht mit einem Bungee-Seil vom Eifelturm springt. Just zur selben Zeit versucht sich dort die Französin Serafine das Leben zu nehmen. Mit einem beherzten Sprung schafft es Andy, sie im Fall am Fuß zu fassen und weich auf dem Boden abzusetzen. Leider reißt ihn das Bungee-Seil gleich wieder fort und ihm bleibt nur ein Schuh als Erinnerung an die schöne Unbekannte.

Total verliebt machen sich Andy und seine zwei Freunde auf die Suche nach Serafine. Sie treffen sie in einem Bistro. Die Begegnung gerät für Andy zu einem mittleren Desaster, bei dem er sich einerseits lächerlich macht, andererseits aber auch erkennt, daß Serafine sich nur so abweisend verhält, weil sie ein Geheimnis vor ihm zu verbergen versucht. Was dahinter steckt, wird den drei Freunden bald auf grausame Weise klar. Ein Bekannter Serafines lädt sie zu einer amerikanisch-französischen-Verbrüderungs-Party (ha!) ein, die aber nur ein einziges Ziel hat: Die in Paris ansässige Gruppe (!) von Werwölfen mit Frischfleisch zu versorgen. Dem Massaker unter den Gästen fällt auch einer von Andys Freunden zum Opfer. Andy selbst kann aufgrund von Serafines beherztem Eingreifen verletzt entkommen, nur um sich bald darauf mit der Tatsache konfrontiert zu sehen, daß er selbst ein Werwolf ist, gepeinigt von den Geistern seiner Opfer. Als wenn das nicht schon reichen würde, hat die Werwolf-Gruppe Andys anderen Freund als Geisel genommen, um Andy dazu zu zwingen, sich ihnen anzuschließen. Ein Gespräch mit Serafine läßt ihn schließlich das ganze Ausmaß der Katastrophe erkennen: Serafines Stiefvater, ein Wissenschaftler, hatte bei dem Versuch, ein Gegenmittel gegen Lycanthropie zu entwickeln, das Gegenteil erreicht: Das Serum läßt die (gewollte) Verwandlung in einen Werwolf zu jeder Zeit zu...

Anthony Waller konnte bei AN AMERICAN WEREWOLF IN PARIS auf ein ausgereiftes Drehbuch und exzellente Schauspieler zurückgreifen, allen voran Julie Delpy, die hier einmal mehr zeigt, daß sie nicht nur wunderschön aussieht, sondern auch alle Facetten der Schauspielerei beherrscht. Auch die Effekte, die logischerweise zum größten Teil aus dem Computer stammen, können sich sehen lassen. Der Deutsche Matthias Kammermeier (DAS ARCHE NOAH PRINZIP) liefert eine beeindruckende Arbeit ab, die einmal mehr belegt, daß INDEPENDENCE DAY nicht das Maß aller Dinge ist (ihr glaubt doch nicht wirklich, die Effekte in ID4 seien gut, oder?).

Nochmal Thema Drehbuch: John Landis hatte sein Skript bereits vor sechs Jahren fertig. Speziell der Humor darin sagte Waller überhaupt nicht zu, weshalb er es komplett umschrieb. Die üblichen Landis-Gags ("See you next Wednesday!") bleiben somit außen vor, sieht man einmal von den zynischen Sprüchen der Zombies ab. Waller bewegt sich mehr in Richtung Slapstick. Das mag dem einen oder anderen auf den Magen schlagen, mir hat es jedenfalls sehr gut gefallen. Ein einziges Manko hat der Film: Obwohl er in Paris spielt (gedreht wurde aber auch noch in Metz und Luxemburg), bekommt man die schönen Seiten der Stadt nur sehr selten zu sehen, was ich persönlich doch etwas schade finde.

Dieser Artikel erschien in Spookie Nr. 6, August 1997