Flatliners

FLATLINERS

"Es ist ein schöner Tag zum Sterben!", meint der ehrgeizige Medizinstudent Nelson, während sein Blick über das Meer und die untergehende Sonne streicht und er kurz vor seinem ersten Trip ins Jenseits steht. Ein zweiter, längerer und beinahe tödlicher Ausflug von ihm und jeweils ein kürzerer seitens seiner drei Mitstudenten, des Frauenhelden Joe, des Atheisten Labraccio und der (frigiden?) und mit einem Kindheitstrauma beladenen Rachel, werden folgen.

Dieses Quartett wirkt wie das Substrat aus Hollywoods kassenträchtigsten Jungstars und bildet gleichzeitig einen repräsentativen Querschnitt der jugendlichen (amerikanischen) Gesellschaft - oder soll es zumindest. Wer wünscht sich nicht einen Sohn wie Nelson (Kiefer Sutherland) oder eine Tochter wie Rachel (Julia Roberts): gutaussehend, ehrgeizig, erfolgreich?

Nur der fünfte im todesmutigen Bunde, der pummelige Steckle fällt ein wenig aus dem Rahmen, da er im Grunde nichts zur Handlung beiträgt, aber das Geschehen ironisch zu kommentieren weiß. Damit besetzt er die Rolle des klassischen "Sidekicks" und muß deshalb auch auf keinen Trip ins Jenseits gehen.

In einem zu renovierenden Teil der Universität läßt sich Nelson mit viel Improvisation und geborgten Geräten für dreißig Sekunden in die ewigen Jagdgründe schicken. Hilflos, weil von ihm, dem Drehbuch und der Regie gleichermaßen verlassen, stehen die übrigen Protagonisten an seiner Bahre und geben Platitüden wie "Haben wir jetzt 'ne Leiche am Hals?" oder "Ich steig' aus, mir reicht's!" von sich, während sich die Kamera in pietätvollem Abstand hält. Filmisch wirksam ist dieses jedoch kaum, es ähnelt eher abgefilmtem Theater. Auch die Umsetzung von Nelsons Todesvision enttäuscht. Statt das Cinemascopebild mit atemberaubenden Phantasien und Lebenserinnerungen (wie z.B. während Lillians Tod mit Engeln und "Memory Bubbles" in BRAINSTORM) zu füllen, bekommen wir einen Flug über ein gelbes Blumenfeld, eine Fahrt mit der U-Bahn und eine Parade ehemaliger Freundinnen serviert. Der Film versagt uns, das zu geben, worauf wir gewartet haben: einen Blick ins Jenseits. Einzig Rachels spätere Todesvision vermag durch die blitzartig überbelichteten Bilder und deren fast schmerzhafte Wirkung auf die Augen der Zuschauer etwas von den Erlebnismöglichkeiten des Kinos zu vermitteln.

Wieder zu den Lebenden zurückgekehrt, wissen die Protagonisten auf Fragen nach der Art ihrer Erlebnisse auf der "anderen Seite" nicht mehr zu erzählen als das übliche "ich kann es nicht beschreiben!" Auch dieser Moment geht dem Film völlig ab: die Auseinandersetzung mit dem Geschauten. Was wir, das außenstehende Publikum, und die Darsteller gleichermaßen sehen, ist Wirklichkeit und Interpretation in einem. Es gibt nichts anderes mehr. Nelsons erfolgreiche Rückkehr in die Realität genügt den anderen bereits als Beweis, daß das Experiment geglückt ist - wer kommt als nächster dran und für wie lange?

Immer ausgedehntere Reisen werden unternommen, was schließlich in einem Wettstreit ausartet, bei dem sowohl jegliches wissenschaftliche Interesse, als auch persönliche Motivationen völlig untergehen. Die Strafe für einen solchen Frevel folgt umgehend, denn Gott, sofern es einen gibt (und Bacon in seiner Rolle als Atheist bezweifelt das), läßt sich nicht ungestraft in die Karten sehen. Wieder aus den Träumen erwacht, wird jeder einzelne von seiner persönlichen Todesvision (sprich den Sünden seiner Vergangenheit) im weiteren Leben verfolgt. Betrogene Freundinnen erscheinen auf dem Bildschirm, gehänselte Mitschülerinnen werfen einem schmutzige Worte an den Kopf, tote Spielkameraden treten als Schläger auf und ein verstorbener Vater wird zeitweise wieder lebendig.

Das alles wirkt jedoch so harmlos wie eine Kindergartenversion von NIGHTMARE ON ELM STREET. Führte bei dieser Horrorserie die Konfrontation mit den Sünden der Vergangenheit (personifiziert durch Freddy) meist zum Tode des Betroffenen, so trägt in FLATLINERS: lediglich Nelson körperliche Schäden davon, ansonsten reicht bereits aufrichtiges Bereuen und ein klärendes Gespräch aus, um ein Happy-End zu erreichen. Dieses kommt denn auch in üblicher Hollywoodmanier daher: überflüssig, inkonsequent und rührselig, an dessen Ende Nelsons reumütige Erkenntnis steht: "Es war doch kein so guter Tag zum Sterben."

Was dem Film an erzählerischer Dichte und inszenatorischer Genauigkeit und Weitsicht fehlt, macht er zu einem großen Teil auf visueller Ebene durch das pralle gotisches Produktionsdesign von Eugenio Zanetti und durch die in kräftige Primärfarben, vorwiegend rot und blau, getauchten Bilder wieder wett. Im Zusammenspiel beider Faktoren entsteht

dabei stellenweise eine herrlich morbide Atmosphäre, die der Geschichte den nötigen kalten Schauer verleiht. Daß aber selbst hier eine gewisse Konzeptionslosigkeit spürbar ist - keinem der Protagonisten wird z.B. eine bestimmte Farbe zugeordnet, die Bilder sind oftmals einfach nur bunt der Buntheit willen - geht dabei weniger auf das Konto von Kameramann Jan De Bont (FLESH AND BLOOD, HUNT FOR RED OCTOBER) als vielmehr auf das des Regisseurs. Insgesamt weist der Film augenfällige Parallelen zu Joel Schumachers bisherigem filmischen Werk auf: die Pseudo-Intellektualität von ST. ELMO'S FIRE (1985), die Unverbindlichkeit von COUSINS (1989) und die gestylten Bilder von THE LOST BOYS (1987).

Das wirft auch ein bezeichnendes Licht auf Hollywood, dessen vorsichtiger Drang nach neuen Ideen immer deutlicher wird. Und man scheint bereit zu sein, dafür hohe Summen zu bezahlen: Peter Filardi beispielsweise bekam für sein FLATLINERS-Skript 400 000 Dollar.

Bei der filmischen Umsetzung wandelt man jedoch lieber weiterhin auf ausgetretenen Pfaden, indem auf erprobte und kommerziell erfolgreiche Versatzstücke zurückgegriffen wird. Ob diese Diskrepanz in nächster Zukunft überwunden werden kann, bleibt abzuwarten.

Im Falle von FLATLINERS bleibt mir abschließend nur zu sagen: "Es war doch kein so guter Film!"

Bewertung: 8 Punkte

  • USA 1990
  • Regie: Joel Schumacher
  • Produktion: Michael Douglas, Rick Bieber
  • Drehbuch: Peter Filardi
  • Kamera: Jan De Bont
  • Musik: James Newton Howard
  • Darsteller: Kiefer Sutherland, Julia Roberts, Kevin Bacon, William Baldwin, Oliver Platt
  • FSK: 16
  • 111 Minuten
  • Columbia Pictures