E. Lourié Teil 1

P.I.N.Y.

Eugene Lourié: Der Drachenbändiger von Hollywood

von Markus Janda

Eines meiner beeindruckendsten Filmerlebnisse datiert in eine Zeit zurück, als ich noch mit einem Fernrohr aus Pappe nach UFOs Ausschau hielt, von einer Karriere als Superheld träumte und fürchterlich in die Darstellerin der Anne aus der Fernsehserie DIE FÜNF FREUNDE verknallt war. In jenen unbeschwerten Kindheitstagen war Fernsehen für mich das Allergrößte, besonders abends. Allerdings schränkte ein väterlicher Erlaß dieses Vergnügen empfindlich ein: Fernsehen nach 21 Uhr war strikt verboten! Mit Quengeln kam ich in der Regel nicht weit, zum Weinen war ich zu stolz und indianermäßiges Anschleichen in den Rücken der fernsehenden Eltern war schon aufgrund der örtlichen Gegebenheiten ausgeschlossen.

Dennoch kam ich hin und wieder - Gott weiß warum - in den Genuß eines Spätfilms. Einer davon ist mir heute noch lebhaft in Erinnerung und steht mittlerweile, penibel aus dem Fernsehen mitgeschnitten, in meiner Videosammlung: PANIK IN NEW YORK. Die Handlung ist schlicht: Ein tiefgefrorener Rhedosaurus wird bei einem Atomtest versehentlich aufgetaut und beißt sich in rund 80 Minuten vom Nordpol bis nach New York durch, wo er in einem Vergnügungspark von der Armee zur Strecke gebracht wird.

Für mich war nach dem geglückten Fangschuß die Welt wieder in Ordnung, für ein kleines Mädchen, das den Film rund 30 Jahre vorher gesehen hatte, brach sie dagegen zusammen. Mit Tränen im Gesicht schimpfte die Sechsjährige damals ihren Vater aus: "Du bist böse, Daddy! Du hast das große, nette Monster umgebracht!" Der so arg Gescholtene war niemand anderes als der Regisseur des Films, Eugene Lourié, dem der Vorwurf seiner Tochter so zu Herzen ging, daß er Jahre später mit GORGO einen der wenigen Dino-Filme inszenierte, in denen der Saurier am Ende überlebt. Obwohl PANIK IN NEW YORK das Publikum ganz unterschiedlich berührte, wurde der Film 1953 ein großer Kassenschlager und machte aus Eugene Lourié einen gefragten Regisseur - wenn auch nur für Saurierfilme. "In allen Drehbüchern, die nach PANIK IN NEW YORK auf meinem Tisch landeten, ging es um irgendwelche Dinosaurier", erzählt der 1991 verstorbene Lourie, der trotz seines französisch akzentuierten Namens aus Rußland stammle, von wo er schon in jungen Jahren nach Frankreich floh.

Nach PANIK IN NEW YORK war Eugene Lourié ein gefragter Regisseur - Allerdings nur für Saurierfilme

"Ich erlebte in Rußland den I. Weltkrieg und die Revolution mit, und wie so viele Leute meiner Generation wollte auch ich Rußland verlassen; über die Türkei entkam ich nach Paris", erinnert sich der Regisseur in einem Interview mit dem US-Magazin "Starlog". Als Lourié in Paris ankam, war er gerade mal sechzehn Jahre alt. Er verdingte sich eine Zeitlang als Maler und Bühnenbildner, bevor er sich dem Filmgeschäft zuwandte, wo er sich als Art Director schnell einen Namen machte. Regisseure wie Abel Gance, Max Ophüls und Jean Renoir gehörten zu seinen Auftraggebern. 1941, während der Nazi-Besatzung, folgte er Renoir in die Vereinigten Staaten, nach Hollywood, "dahin, wo Filme gemacht wurden" (Lourié). In der amerikanischen Filmstadt arbeitete er zunächst wieder mit Renoir zusammen, später dann auch mit Charlie Chaplin (RAMPENLICHT) und Clint Eastwood (BRONCO BILLY).

1952 klopften Jack Dietz, Bernie Burton und Hal E. Chester von der Produktionsfirma Mutual Films bei Lourié an, um ihn als Art Director für einen ihrer nächsten Filme zu gewinnen. Drei Projekte standen an - ein Abenteuerfilm, ein Gefängnisfilm und ein Monsterfilm mit dem Arbeitstitel THE MONSTER FROM BENEATH THE SEA - zu keinem lag jedoch ein Drehbuch vor. Anhand der groben Inhaltsangaben, die man Lourié lieferte, entschied sich der Russe für den Monsterfilm. Lourié: "Ich fragte Dietz, wer der Regisseur sein würde, worauf er antwortete: 'Bei unserem Budget -keine Ahnung'. Ich sagte ihm, daß bei diesem Budget und dem engen Zeitplan niemand die Regie übernehmen würde, daß ich es aber tun würde, wenn er damit einverstanden sei. Dietz hielt das für einen Witz. Drei Wochen später rief er mich an und fragte: 'Meinen Sie das ernst?' Ich erklärte ihm, daß ich schon immer daran interessiert war, einmal Regie zu führen, sich mir aber bislang noch keine Möglichkeit dazu geboten habe. Darauf meinte Dietz: 'Okay, Sie kriegen den Job, aber sorgen Sie erstmal für ein Drehbuch.'"

Lourié hatte vorher noch nie von Ray Harryhausen gehört

Während Lourié noch am Skript arbeitete, wurde er auf eine Kurzgeschichte von Ray Bradbury aufmerksam, die 1951 in der "Saturday Evening Post" veröffentlicht worden war. In der Geschichte, die den Titel "The Foghorn" trug, ging es um einen Dinosaurier, der einen Leuchtturm angreift, weil er das Heulen eines Nebelhorns für einen Paarungsruf hält. Mutual Films kaufte die Rechte an der Geschichte und die Attacke des Sauriers auf den Leuchtturm floß umgehend in Louriés Drehbuch mit ein. Diese Szene gab dem zuständigen Effektspezialisten Ray Harryhausen die Gelegenheit, einen der schönsten Momente in der Stop Motion-Trickgeschichte auf Zelluloid zu bannen.

Harryhausen stieß auf Anregung von Hal E. Chester zu Louriés Truppe. Chester hatte MIGHTY JOE YOUNG gesehen, für dessen Spezialeffckte Harryhausen teilweise verantwortlich zeichnete, und war vom Können des jungen Trickexperten zutiefst beeindruckt. Lourié selbst hatte bis dato noch nie von Ray Harryhausen gehört. Er traf sich mit ihm und nachdem er einige von Harryhausens in Eigenregie gedrehten 16 mm-Märchenfilmen gesehen hatte, stand auch für ihn fest, daß dieser junge Animationskünstler der Richtige für den Job am Tricktisch war. Allerdings unterschätzte Lourié bei all seiner Begeisterung für die Stop Motion-Technik den Zeitaufwand, der nötig war, um eine kleine Modellfigur in Zigtausend Einzelbildern zum Leben zu erwecken. "Ich war erstaunt, wieviel Zeit diese Bild-für-Bild-Animation brauchte. Den Film drehten wir in zwölf Tagen, die Animationen dauerten dagegen zwei, drei Monate", meinte Lourié später einmal. Ende Juli 1952 flog Lourié nach New York, um diverse "location shots" für PANIK IN NEW YORK zu filmen. Alle übrigen Aufnahmen von New York entstanden in einer detailgetreu nachempfundenen New York-Kulisse auf dem Gelände der Paramount-Studios. Trotz des niedrigen Budgets (knapp 250 000 Dollar) konnte Lourié die drei größten Bühnen des Studios benutzen. Auf einer davon entstand eine sehr überzeugende Nordpol-Szenerie mit richtigem Schnee aus der Schneekanone. Wegen der großen Hitze, die die Scheinwerfer erzeugten, mußte die Dekoration allerdings in jeder Drehpause neu eingeschneit werden.

Als Lourié PANIK IN NEW YORK fertiggestellt hatte, war Jack Dietz regelrecht verblüfft, wie gut dieses kleine B-Picture geworden war. Schnell verwarf er den Plan, diesen Film irgendeinem kleinen Verleih anzudrehen. PANIK IN NEW YORK sollte im ganz großen Stil vermarktet werden. Es gelang ihm, den Film für 450 000 Dollar an den Hollywoodriesen Warner Bros, zu verkaufen - für Dietz ein Bombengeschäft, wie es schien. Das wirklich große Geld machte dann allerdings Warner Bros. Über fünf Millionen Dollar spielte PANIK IN NEW YORK an den Kinokassen ein, zehnmal soviel wie Dietz für den Film erhalten hatte!

Natürlich provozierte Louriés Regiedebüt eine Latte von Plagiaten. THE BEAST OF HOLLOW MOUNTAIN, GODZILLA, KING DINOSAUR - jeder B-Film-Produzent, der gerade flüssig war, ließ nun seinerseits einen Saurier von der Leine. Auch Lourié war mit den Urzeitechsen noch lange nicht fertig.

Mehr dazu in der nächsten Ausgabe von Spookie.

Dieser Artikel erschien in Spookie Nr. 3, November 1996