Schock

 Ein DING geriet in das Innere der Rakete und löste die Besatzungsmitglieder auf ...

50er Jahre Depressivum SCHOCK!

The Quatermass Experiment

von Werner Olles

In unmittelbarer Nähe eines kleinen Dorfes in der englischen Grafschaft Berkshire landet eines Nachts ein Weltraumschiff. Bereits kurze Zeit später trifft auf dem inzwischen von Polizei und Militär hermetisch abgeriegelten Gelände der Konstrukteur der Rakete, der Wissenschaftler Bernard Quatermass, ein, um die Bergungsarbeiten zu leiten. Nachdem die Tür per Fernsteuerung geöffnet wurde, taumelt eine menschliche Gestalt aus der Rakete. Es ist Victor Carroon, das jüngste Mitglied der Besatzung. Die übrige Crew ist verschwunden. Ein während des Fluges aufgenommener Film gibt Aufschluß über den Verbleib der Männer: Ein nicht zu identifizierendes DING geriet in das Innere der Rakete und löste die Mitglieder der Besatzung auf - bis auf Carroon.

Trotz eindringlicher Warnungen des Inspektors Lomax von Scotland Yard läßt Quatermass Carroon in sein Versuchslaboratorium bringen, wo der Mediziner Gordon Briscoe den völlig apathischen Mann untersuchen soll. Vor den Augen von Quatermass und Briscoe erfährt Carroon eine unerklärliche physische Veränderung. Carroons Frau Judith ist besorgt, daß Quatermass mehr daran gelegen ist, von seinem Patienten zu erfahren, was sich tatsächlich in der Rakete ereignet hat, als ihm zu dauerhafter Genesung zu verhelfen. Also schmuggelt sie ihren Mann unbemerkt aus dem Krankenhaus, in das man ihn mittlerweile gebracht hat. Doch Carroon, der sich zunehmend in ein aggressives, außerirdisches Monstrum verwandelt, spürt, daß er für seine Frau eine tödliche Bedrohung darstellt.

Um sie nicht zu gefährden, verschwindet er, kaum daß sie das Krankenhaus verlassen haben, in der Nacht. Schließlich wird der zu einem schleimigen Riesenkraken mutierte Carroon in der Westminster-Kathedrale entdeckt. Quatermass errechnet, daß dieses Wesen in spätestens zwei Stunden in der Lage ist, seine schädlichen Fortpflanzungskeime über ganz London zu verbreiten. Der Professor ordnet daraufhin an, daß Starkstrom in das Baugerüst geleitet wird, auf dem das Monster hängt. Während die verkohlten Reste der Kreatur noch von Neugierigen umlagert werden, verläßt Quatermass die Stätte des Grauens. Der Start der nächsten Rakete muß vorbereitet werden...

 

QUATERMASS EXPERIMENT war der Auftakt zu einer Serie von insgesamt vier QUATERMASS-Filmen: QUATERMASS II - ENEMY FROM SPACE (dt.: FEINDE AUS DEM NICHTS, 1957), QUATERMASS AND THE PIT (dt.: DAS GRÜNE BLUT DER DÄMONEN, 1967) und QUATERMASS CONCLUSION (1978).

Zugleich gelang der britischen Hammer-Produktion mit SCHOCK der internationale Durchbruch. Der Film, der nach einer populären Fernsehserie entstand, erschütterte Großbritannien nachhaltig und entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einer Art Kultfilm. Es war die geniale schwarzweiße Mischung aus Horror und Science Fiction, dazu kam Val Guests routinierte Regie, ein kompaktes und handwerklich perfektes Drehbuch und so großartige Schauspieler wie Brian Donlevy als Professor Quatermass und Richard Wordsworth als Victor Carroon. Obwohl der Film mehrere, äußerst spannungsreiche und unheimliche Höhepunkte hat, ist die dramaturgisch geschickt eingeleitete Vernichtung des Monsters wohl die beste Szene dieser grandiosen SF/Horror-Saga.

Val Guest hat ohne große Spezialeffekte einen Film geschaffen, der vor allem durch die eindrückliche Darstellung des infizierten Astronauten Carroon - Richard Wordsworth agiert so hervorragend, daß man meinen könnte, er spiele sich selbst - auch heute noch sehenswert ist. Trotz einiger genreüblicher Übertreibungen zeigt er den verunglückten Raumfahrer nicht einfach als blutrünstiges Ungeheuer, sondern als physisch und psychisch kranken Menschen, dem seine unheilvollen Veränderungen keine andere Wahl lassen, als zu töten. Auch die übrigen Figuren sind psychologisch glaubwürdig dargestellt und werden durchweg von erstklassigen Schauspielern - allen voran der herrliche Brian Donlevy - verkörpert. Seine mit unterkühlter Radikalität angelegte Figur des Prof. Quatermass ist alles andere als ein grotesker "mad scientist" oder ein obskurer "Dr. Seltsam". Zwar ist Quatermass ein Dezisionist, der seine Befehle kurz und präzise erteilt und von demokratischen Diskussionen offensichtlich nicht allzuviel hält, aber dies geschieht aus einem konsequenten Pflichtgefühl heraus, das im Zweifelsfall bis zum Äußersten geht.

SCHOCK verbreitet die anti-modernistische Botschaft schlechthin. Und Prof. Quatermass, der autoritäre Nihilist, der zum Wohle des technischen - und militärischen - Fortschritts über Leichen ging, maß die britische Gesellschaft an ihren ureigensten Prinzipien und klagte sie wortlos an, in der Lüge zu leben. Schließlich wolle sie den technischen Fortschritt, aber Opfer dürfe es dabei natürlich keine geben. Tatsächlich ist das Ende des Films, das einen ungebrochen zu neuen Taten schreitenden Quatermass zeigt, von einem beeindruckend zynischen Pessimismus, der bis heute seinesgleichen sucht.

SCHOCK hat das negative Weltbild und die Misanthropie jener juvenilen Pennäler, die vor fast vierzig Jahren aufbrachen, um diesen Film in längst verschwundenen Frankfurter Vorstadtkinos zu sehen (und zu denen auch der Schreibende gehörte) wahrscheinlich mehr geprägt, als das der Algerien- oder der Korea-Krieg vermochten. Er ließ sie noch lange danach nicht in Ruhe, stürzte sie hingegen in seelische Spannungen und innere Gegensätze, die so absolut waren, daß keine Psychologien sie erreichten.

SCHOCK war eine apokalyptische Vision, eine "Seinsfrage", dessen Hauptfiguren sich als Gestalten des Weltgerichts enttarnten: Der Gott versuchende Quatermass, die xenomorphen Teufel aus dem All und der geopferte Raumfahrer als gekreuzigter Christus. Weil SCHOCK im Grunde nirgends ankommt, sondern erschöpft und überanstrengt im reinen, nuancen- und hoffnungslosen Dunkel, der Farbe des Grauens, endet, fühlt man sich dieser Deutung noch immer ausgeliefert.

 

SCHOCK

  • The Quatermass Experiment, GB 1955
  • Regie: Val Guest
  • Drehbuch: Richard Landau, Val Guest
  • Kamera: Walter Harvey, Leonard Harris
  • Musik: James Bernard
  • Spezialeffekte: Les Bowie
  • Darsteller: Brian Donlevy, Richard Wordsworth, Jack Warner, Margia Dean, Thora Hird u.v.a.

 

Ouatermass im Fernsehen:

THE QUATERMASS EXPERIMENT war die erste britische SF-Fernsehserie und verschaffte der BBC im Sommer 1953 sensationelle Einschaltquoten. So sensationell, daß die aus sechs halbstündigen Folgen bestehende Reihe im Herbst 1955 (QUATERMASS II) und im Winter 1959 (QUATERMASS AND THE PIT) zweimal fortgesetzt wurde. Zu allen drei Serien verfaßte Nigel Kneale das Drehbuch. Da damals Fernsehserien noch "live" gespielt und übertragen wurden, existieren von THE QUATERMASS EXPERIMENT und QUATERMASS II keine Mitschnitte. Lediglich QUATERMASS AND THE PIT konnte dank der damals neuartigen MAZ-Technik aufgezeichnet werden.

 

Literaturhinweis:

  • "Das Quatermass-Dossier" von Bodo Traber, Splatting Image, Nr. 16. Dezember 1993

Dieser Artikel erschien in Spookie Nr. 1, April 1996